Vermittlung von Kunst und Kultur
Vermittlung von Kunst und Kultur

Gegen das Vergessen, Wanderausstellung 7. Station

Dr. phil. Anita Maaß, Bürgermeisterin Lommatzsch

Ralf Hänsel, Landrat Landkreis Meißen

Andreas Beuchel, Superintendent Meißen

Dietmar Saft, Pfarrer

Dauer: 03.09.2021 bis 20.09.2021

 

St. Wenzelkirche

Dr. Matthias Rößler, Präsident des Sächsischen Landtags
 
„Millionen Menschen verloren in dem von Deutschen und ihren Helfern verübten Zivilisationsbruch ihr Leben. Die Zeichnungen von Thomas Geve sowie die Fotos von Alfred Stüber dokumentieren auf tief berührende Weise, was geschehen ist und doch niemals hätte geschehen dürfen. Es liegt in unseren Händen, die Erinnerung daran wachzuhalten und aus der Geschichte zu lernen.“
Landrat Ralf Hänsel, Landratsamt Meißen

„Die Erinnerung wachhalten und mahnen gegen das Vergessen – das gebietet uns unsere Geschichte. Je weniger Zeitzeugen dies wahrnehmen können, desto wichtiger werden Ausstellungen wie „Gegen das Vergessen“. Ich freue mich, dass die Stadt Lommatzsch dieser eindrucksvollen Ausstellung im Landkreis Meißen einen Raum bietet.“
Andreas Beuchel, Superintendent Meißen
 
Die Ausstellung "Gegen das Vergessen" mit Bildern von Thomas Geve ist Klage und Anfrage an uns - ein eindringliches Zeugnis das Böse nicht zu vergessen und alles für ein friedliches Miteinander zu tun. 
 
Die Bibel (2. Mose 34, 6+7) beschreibt es so: "Gott ist barmherzig und gnädig und geduldig und von großer Gnade und Treue, der da Tausenden Gnade bewahrt und vergibt Missetat, Übertretung und Sünde, aber ungestraft lässt er niemand, sondern sucht die Missetat der Väter heim an Kindern und Kindeskindern bis ins dritte und vierte Glied!"

Das klingt zunächst hard! Die Verse beschreiben eine Realität, die wir bis heute erleben. Böse Taten dürfen nicht vergessen werden. In der Beziehung und im Glauben an Gott können Menschen aber immer wieder zur Versöhnung ermutigt werden.

 

Dr. phil. Anita Maaß, Bürgermeisterin

 

Die Ausstellung der „François Maher Presley Stiftung für Kunst und Kultur“ vermittelt uns aus der Perspektive der Opfer einen Eindruck von der Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten. Über 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges sensibilisiert das Projekt uns - als Enkel- bzw. Urenkelgeneration - dafür, zu welchen unfassbaren Gräueltaten Menschen fähig sind.

 

 

Auch in Lommatzsch haben die NS-Zeit, besonders die Ereignisse in den letzten Kriegstagen, Spuren und Wunden im kollektiven Gedächtnis der Stadt hinterlassen. War die Stadt zunächst weitgehend von kriegerischen Auseinandersetzungen verschont geblieben, brach der Krieg im Frühjahr 1945 mit Wucht über unser Gebiet herein. Damals lebten bereits viele Zwangsarbeiter in Lommatzsch. In den letzten Kriegswochen kamen immer wieder neue Flüchtlingstrecks in der Lommatzscher Pflege an. Im Krankenhaus der Stadt wurden Verwundete der Dresdner Bombardierung gepflegt. Am 20. April 1945 zogen „Todesmärsche“ durch Lommatzsch. Die ausgemergelten Häftlinge aus dem Außenlager Neustaßfurt des Konzentrationslagers Buchenwald konfrontierten die Bevölkerung mit den Schrecken des Krieges. Brachen die völlig geschwächten Häftlinge auf dem Weg durch Lommatzsch und die Dörfer Dörschnitz, Striegnitz, Altsattel kraftlos zusammen, wurden sie vor den Augen von Bürgern am Straßenrand kaltblütig erschossen. Sechs Tage später keimte die Hoffnung auf ein nahes Kriegsende auf. Die Sowjetarmee zog erstmals in Lommatzsch ein. Doch am 29. April kehrten SS-Einheiten zurück. An diesem Tag erschossen die SS-Leute hier an der St. Wenzel Kirche 35 Zwangsarbeiter und den Flüchtlingsjungen Heinz Leichtweiß aus Ostpreußen, weil sie ihnen Plünderung und Diebstahl vorwarfen. Zur Erinnerung an die Opfer, aber auch zur Mahnung der Bevölkerung, ließ die Kirchgemeinde eine Gedenkplatte anbringen.

 

Im Alltag nehmen wir Gedenkorte wie hier an der Kirche kaum mehr wahr. Recht und Unrecht, Opfer und Täter, Mitläufer und Mitgestalter – Fragen der Geschichte, die uns nicht mehr zu interessieren scheinen. Dabei sollte uns heute stärker denn je bewusst sein, wie leichtfertig demokratische Errungenschaften aufgegeben werden können. Wir müssen und können aus unserer Geschichte lernen.

 

Ausstellungen wie diese der „François Maher Presley Stiftung“, an geschichtsträchtigen Orten wie hier in der St. Wenzel Kirche, sollen uns aus unserem bequemen Alltag heraus reißen. Die gezeigten Bilder berühren unser Herz. Sie können aber auch unseren Verstand wecken. Wir sollten begreifen, dass Freiheit und Frieden die Grundwerte unserer Demokratie sind. Aber auch heute sind diese Werte nicht unantastbar. Wir alle tragen jeweils auf unserem Platz in der Gesellschaft Verantwortung dafür, dass unser demokratischer und sozialer Rechtsstaat bewahrt wird.

Ralf Hänsel, Landrat des Landkreis Meißen

 

Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin Dr. Maaß,

sehr geehrter Herr Superintendent Beuchel,

sehr geehrter Herr Presley,

sehr geehrter Herr Pfarrer  Saft,

sehr geehrte Damen und Herren,

 

die Erinnerung wach halten und mahnen gegen das Vergessen – das gebietet uns unsere Geschichte. Je weniger Zeitzeugen dies wahrnehmen können, desto wichtiger werden Ausstellungen wie diese. Ich danke Ihnen, Frau Bürgermeisterin Dr. Maaß und Herr Pfarrer Saft, dass Sie diese Ausstellung in unseren Landkreis geholt haben. Sie hat hier in der St. Wenzelkirchen einen angemessenen und würdigen Platz gefunden.

 

Die Zeichnungen und Fotografien konfrontieren uns mit der Realität von damals. Unzählige Menschen wurde im Dritten Reich Schlimmes angetan – wenn sie anders waren, als die Idealvorstellungen der damaligen Welt. Juden, Sinti und Roma, politische Gegner, Kriegsgefangene, psychisch Kranke, Menschen mit Behinderung, Homosexuelle, Schwarz oder auch Asiaten passten nicht in die Rassenideologie und gehörten nicht zur „Volksgemeinschaft“ – sie wurden systematisch verfolgt, vertrieben und ermordet. Nie darf sich wiederholen, was sich damals in den Konzentrations- und Gefangenenlagern, aber auch in den Städten und Gemeinden abgespielt hat. Davon zeugen eindrucksvoll die Bilder und die Erklärungen in dieser Ausstellung.

 

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“, lautet seit dem Ende der Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten vor 76 Jahren der erste Artikel unseres Grundgesetzes. Ich bin sehr dankbar, dass das bis heute die Grundlage all unserer Entscheidungen und unseres Handels ist.

 

In den Krisen der Weimarer Republik konnte der Nationalsozialismus in Deutschland zur Massenbewegung wachsen. Lassen Sie uns gemeinsam darauf hinwirken, dass dies nicht noch einmal passiert. Wir wollen und dürfen nicht vergessen, was der Nationalsozialismus – auch in unserer Region – ausgelöst hat.

 

Gedenksteine und –platten, wie hier an der Kirche, sind eine Möglichkeit gegen das Vergessen. Wichtig ist aber auch, darüber zu reden, sich über das Vergangene auszutauschen und ins Bewusstsein zu rufen, was passiert ist – über Generationen hinweg. Dafür bietet diese Ausstellung eine geeignete Gelegenheit. Auch ich lerne hier gerne dazu und freue mich über den Austausch. Vielen Dank für die Einladung zur Ausstellungseröffnung „Gegen das Vergessen“. Ich wünsche der Ausstellung noch viele weitere Besucherinnen und Besucher, die sich neu erinnern lassen und nicht vergessen wollen.

 

Vielen Dank.

Dietmar Saft, Pastor

 

„Gegen das Vergessen“ ist eine vielgenannte Devise, um mit Ereignissen und Lebenserfahrungen der Vergangenheit – sowohl der positiven als auch der negativen – umzugehen. Dabei ist den Menschen seit Jahrtausenden bewusst, wie zerbrechlich ein Erinnern ist. Aus diesem Bewusstsein heraus haben wir begonnen, unsere Erinnerungen schriftlich festzuhalten. „Gegen das Vergessen“ ist gewissermaßen die Triebfeder der ersten schriftlichen Aufzeichnungen in Mesopotamien oder Ägypten. Genauso in den anderen Hochkulturen der Antike bis zur Bibel; zunächst im Alten Testament in Hebräisch und später dann zusätzlich im Neuen Testament in Griechisch. Selbst der Koran ist hier einzuordnen.

 

Sachverhalte – ob profan oder religiös – und ihre jeweilige Einordnung möchten aus der Sicht des Verfassers für die Nachwelt gesichert werden. So werden sie tradiert und bekommen ihren Bestand über die Zeiten hinweg. Damit werden sie aber immer wieder auch Gegenstand der Reflektion und der Auseinandersetzung. Sehr häufig werden in der Geschichte die „Schriften der Verlierer“ durch die „Schriften der Sieger“ ersetzt und verschwinden damit aus der Wahrnehmung der folgenden Generationen. Damit gehen Ereignisse, Einordnungen, Lebens- und Glaubenserfahrungen von Menschen und Kulturen verloren. Oft bleiben nur die „Schriften der Sieger“ erhalten.

 

Ein Dokument, welches die Erfahrungen „der Verlierer“ auch in den Auseinandersetzungen mit den scheinbaren Siegern in großer Vielschichtigkeit wiedergibt, ist die Bibel; dabei insbesondere das Alte Testament mit seinem gut 700-jährigen Wachstumsprozess. Eine Besonderheit ist es, dass neue Erfahrungen und Reflektionen die alten nicht ersetzen, sondern diesen hinzugefügt wurden. Bei sensiblem Umgang mit den Texten des Alten oder Neuen Testaments – möglichst in der Ursprache – ist es deshalb möglich, Rückschlüsse auf Zeit, Ereignisse und Lebenserfahrungen zu ziehen. Hier lohnt es sich, „Gegen das Vergessen“ intensiv und sensibel den Glaubenserfahrungen von Menschen in ihrer jeweiligen Zeit nachzuspüren. Erfahrungen von Menschen miteinander und mit ihrem Gott. Erfahrungen nicht nur der „Sieger“, sondern eben auch der „Verlierer“. Erfahrungen, die deutlich machen: Jeder Mensch ist wichtig als geliebtes und geschätztes Geschöpf Gottes. Jeder Mensch darf sich einbringen mit seinen Möglichkeiten, und er braucht nicht zu scheitern an seinen Grenzen. Gott schenkt den Menschen für dieses Miteinander und Füreinander Regeln und Gebote zum Schutz der Menschen – zum Teil sogar vor sich selbst.

 

„Gegen das Vergessen“ heißt dann aus meiner Sicht auch, diese Erfahrungsschätze zu heben und für die eigenen Entscheidungen unserer Zeit fruchtbar zu machen, besonders dann, wenn es Strömungen gab oder gibt, die einen Absolutheitsanspruch erheben, so, wie etwa der Nationalsozialismus mit seinem Führeranspruch und seiner Herrenmenschenideologie.

 

Die Aura, welche geschickt um Adolf Hitler als dem „Führer“ geschaffen wurde, die demagogische Wortwahl aus dem kirchlich-religiösen Bereich, etwa das „Tausendjährige Reich“, sowie das Bedienen innerer Sehnsüchte der Menschen in der Krisenzeit der 1920er Jahre nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg, ermöglichten einen schnellen Aufstieg gerade auch in christlich geprägten Kreisen. Demagogisch geschickt arbeitete hier etwa ein Reichsbischof Müller mit den sogenannten deutschen Christen der nationalsozialistischen Ideologie zu. Ein tiefsitzender Antisemitismus wurde zudem mit der Herrenmenschenideologie bedient. Christen um Dietrich Bonhoeffer merkten sehr schnell, welche Gefahr sich hier etablierte.

 

In der Bekenntnissynode von Barmen mit der Barmer Theologischen Erklärung aus dem Mai 1934 widerstanden sie der nationalsozialistischen Ideologie. „Gegen das Vergessen“ beriefen sie sich auf die Grundlagen des christlichen Glaubens und widersprachen dabei Stück für Stück den Versuchen der nationalsozialistischen Ideologie, allumfassend von der Gesellschaft, dem Staat, vom christlichen Glauben und der Kirche Besitz zu ergreifen. Auf Grundlage dieses Bekenntnisses von Barmen bildete sich im Untergrund die „Bekennende Kirche“.

 

Dietrich Bonhoeffer selbst blieb nicht beim passiven Widerstand, nachdem deutlich wurde, welche Menschheitsverbrechen im Namen der Herrenmenschenideologie der Nationalsozialisten vor allem im Osten spätestens seit September 1939 geschahen. Er trat dem aktiven Widerstand um Admiral Canaris bei. Sein Weg des aktiven Widerstandes führte ihn bis zur Bejahung des „Tyrannenmordes“, d. h. die Bejahung und Unterstützung eines Attentates auf Adolf Hitler. Dietrich Bonhoeffer wurde 1943 verhaftet und im April 1945 in Flossenbürg ermordet. Sein Glaubens- und Leidensweg ist ein Beispiel gelebten christlichen Glaubens in der Zeit der Nazi-Diktatur. Sein Lebensweg ist ein Beispiel, das sich lohnt festzuhalten. Neben vielen anderen. Etwa der Geschwister Sophie und Hans Scholl. Und anderer mehr – „Gegen das Vergessen“.

 

Vor allem in einer Zeit, in der das zerstörerische Gift einer Herrenmenschenideologie neu Oberwasser bekommt, so, als ob Menschen einer „besseren“ arischen Rasse über einer anderen Rasse stehen könnten, so, als ob Menschen zwischen „wertem“ und „unwertem“ Leben entscheiden könnten. An diesen Stellen werden Christen massiv widerstehen und widersprechen. Nach den Verführungen des sogenannten Dritten Reiches wissen Christen sehr wohl um die Gleichwertigkeit allen menschlichen Lebens vor Gott. Sie wissen, wer Leben schenkt und wer Leben beendet. Daran, so glaube ich, halten Christen gegen jede Ideologie fester denn je „Gegen alles Vergessen“.

François Maher Presley

Stiftung für Kunst und Kultur
(Gemeinnützige Treuhandstiftung unter dem Dach der Haspa Hamburg Stiftung)
Ecke Adolphsplatz 3, Großer Burstah
20457 Hamburg

 

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