Dr. Martin Antonow, Oberbürgermeister Große Kreistadt Brand-Erbisdorf
Dauer: 27.10.2021 bis 29.11.2021
Stadthaus
François Maher Presley
Das unvorstellbare Leid der Ukraine
Zu Beginn dieses Monats war Bundespräsident Frank Steinmeier zu einem Staatsbesuch in der Ukraine und besuchte Babi Jar in Kiew, um die 34.000 ukrainische Juden, die Ende September 1941 innerhalb von zwei Tagen umgebracht wurden und Korjukiwka, um den Millionen ukrainischen Kriegstoten zu gedenken. In der zur Grenze nach Belarus liegenden Stadt wurden im März 1943 allein 6.700 Ukrainer von SS-Einheiten erschossen. Der Botschafter der Ukraine in Deutschland Dr. Andrij Meinick kritisiert schon seit langem, dass die deutsche Erinnerungskultur, die deutsche Politik und Öffentlichkeit, noch immer das Leiden der Ukrainerinnen und Ukrainer übersieht. Und tatsächlich mag man den Eindruck haben, das die unvorstellbar hohen Opferzahlen der vielen Republiken der Sowjetunion immer als Teil des sowjetrussischen Leidens unter dem deutschen Faschismus verstanden, die Ukrainerinnen und Ukrainer als eigenständiges Volk dabei übersehen werden.
Die Ukraine war eines der Länder, die am meisten unter den deutschen Angriffskriegen zu leiden hatten, zuerst besetzt durch die mit Deutschland verbündeten rumänischen Truppen, die unter anderem in Czernowitz unfassbare Verbrechen begingen, bevor die Deutschen einmarschierten und Zerstörung und Morden vorantrieben. Weite Teile des Landes wurden verwüstet. Das ukrainische Volk hatte über vier Millionen zivile Opfer zu beklagen. Bald 14 Prozent der Gesamtbevölkerung, darunter 1,5 Millionen Juden. Weitere zwei Millionen Menschen wurden als Zwangsarbeiter verschleppt.
In dem Begleitbuch zur Wanderausstellung „Gegen das Vergessen“ werden u.a. die Ereignisse in der westukrainischen Stadt Czernowitz thematisiert. In dieser damaligen europäischen Kulturmetropole mit ihrer zum großen Teil noch heute erhaltenen Architektur, lag der jüdische Bevölkerungsanteil bei 52 bis 58 Prozent und war damit der größte vor dem der Deutschen, Rumänien und Ukrainer. Heute sind es weit unter 5 Prozent. Während der zweiten Besetzung durch Rumänien (1941-1944), einem der Alliierten Deutschlands und während des Zweiten Weltkrieges, kam es zu ungeheuerlichen Massakern und Deportationen.
Die Ukraine erlebt seit über einem Jahrhundert Fremdherrschaft, Gewalt und Tod. Schon 1932 bis 1933 kam es dort zu grauenhaften Geschehnissen. Es sollen zwischen 3 und 14 Millionen Menschen verhungert sein. Diese Hungersnot ist auch als „Holodomor“ historisch bekannt. Der Massenmörder Josef Stalin versuchte, den ukrainischen Freiheitswillen zu unterdrücken und die sowjetische Herrschaft in der Ukraine zu festigen, die ukrainische Kultur vollständig auszumerzen. Das war mit einem Vorgehen gegen die ukrainischen Intellektuellen, von denen über 50.000 nach Sibirien deportiert wurden und den Klerus, der allein 10.000 Todesopfer zu beklagen hatte, verbunden. Ihnen folgten die Bauern, die sich der Kollektivierung und Umerziehung widersetzten. Dürre Anfang 1932 belastete die durch hohe Abgaben erdrückten Bauern noch mehr, während Stalins Schergen die Hungersnot gezielt gegen die Bevölkerung einsetzten. Die Grenzen wurden geschlossen, um eine Flucht zu verhindern, Dörfer systematisch ausgeplündert, der Hunger wurde so unvorstellbar groß, das die Landbevölkerung in die Städte flüchtete, dass es in der Bevölkerung zu Kannibalismus kam.
Die ukrainische Nation hat unvorstellbares Leid durch den deutschen und rumänischen Faschismus erfahren, durch Josef Stalin und viele Jahrzehnte der sowjetrussischen Besatzung, die in manchen Teilen des Landes sogar noch fortwährt. Es ist an der Zeit, dass die Geschichte dieses sich zum Westen Europas bekennenden und vielfach alleingelassenen Staats in Deutschland und Europa eine öffentliche und nachhaltige Aufarbeitung erfährt.
Es ist eines dieser Lager im Nirgendwo des alten Europas: Menschen marschieren taumelnd zur Zwangsarbeit, die nicht wirklich bezahlt werden soll – und wenn doch, so mit dem eigenen Leben!
Knirsch, knirsch, knirsch ... (links zwo, drei, vier) ... über den Schotter vom Appellplatz raus zum Steinbruch! Kalt verklingt der abgehackte Ton im Morgengrauen. Auf den Wegen im Wald schlurft und stolpert es sich dann über Wurzeln dahin... an mancher Stelle im Sumpf macht es gar „platsch“... ein Mensch weniger – einer mehr von seiner Qual erlöst!
Tagsüber das metall-schrille Beißen von Hammer und Hacke, gepaart mit dem Stöhnen, Seufzen und Schreien der von deutschem Stahl Getriebenen.
Im Lager zurück und angekommen im Nirgendwo, passt jeder auf, dass alles passt und keiner auffällt.
Plötzlich ertönt ganz leise diese eine Violine - genau wie gestern erst und auch die schier unendlich lange Zeit davor. Erhaben, voller Samt und Sanftheit.
Die Melodie hat fast jeder schon im Kopf und freut sich darauf. Einige summen sie einfach mit, weil sie den Text des Liedes nicht kennen oder weil sie aus Schwäche nicht mehr singen können. Diese Melodie aber stärkt jeden hier im Block. Unbewusst zaubert sie ein zartes Lächeln in jedes Gesicht.
Und einmal mehr siegt der Schlaf in dunkler Nacht über den Hunger…
Wenn der Tag erwacht, eh’ die Sonne lacht,
die Kolonnen ziehn zu des Tages Mühn
hinein in den grauenden Morgen.
Und der Wald ist schwarz und der Himmel rot,
und wir tragen im Brotsack ein Stückchen Brot
und im Herzen, im Herzen die Sorgen.
O Buchenwald, ich kann dich nicht vergessen,
weil du mein Schicksal bist.
Wer dich verließ, der kann es erst ermessen,
wie wundervoll die Freiheit ist!
O Buchenwald, wir jammern nicht und klagen,
wir wollen trotzdem ja zum Leben sagen,
denn einmal kommt der Tag: dann sind wir frei!
Und das Blut ist heiß und das Mädel fern,
und der Wind singt leis, und ich hab’ sie so gern,
wenn treu sie, ja, treu sie nur bliebe!
Und die Steine sind hart, aber fest unser Tritt,
und wir tragen die Picken und Spaten mit
und im Herzen, im Herzen die Liebe.
O Buchenwald, ich kann dich nicht vergessen ...
Und die Nacht ist kurz, und der Tag ist so lang,
doch ein Lied erklingt, das die Heimat sang:
wir lassen den Mut uns nicht rauben.
Halte Schritt, Kamerad, und verlier nicht den Mut,
denn wir tragen den Willen zum Leben im Blut
und im Herzen, im Herzen den Glauben.
O Buchenwald, ich kann dich nicht vergessen …
Buchenwaldlied, Ende 1938
Fritz Löhner-Beda & Hermann Leopoldi
(österreichische Häftlinge)
Aufbegehren und Überleben zehren stets von Hoffnung. Gerade auch Musik gibt diese Hoffnung – jeder und jedem Einzelnen, so wie sie halt auch verstanden bzw. aufgenommen wird.
Musik und Marsch gehören zusammen, für Appelle, Armeen und Paraden, für Parteitage, Hymnen und die Geschichte insgesamt. Mitreißend und reichsgewaltig – speziell auch für all die Wankelmütigen oder noch gar nicht Volljährigen in jener NS-Zeit! Manchmal macht Musik gar das Sterben leichter.
In einigen Lagern wurden eigens Häftlingsorchester betrieben. Einerseits nutzte die SS in zynischer Weise Musik und Singen zur Erniedrigung der Inhaftierten sowie zur Verschleierung bzw. Verharmlosung des wahren Lagerlebens. Andererseits überlebten zahlreiche musikalisch-künstlerisch Begabte durch die Musik und ihrem Talent dafür.
Insofern ist Musik in jener Zeit des Nationalsozialismus´ für das Leben und das Überleben recht bedeutsam: Musik bahnt Kontakte an, sie verbindet und sie gibt Signale.
Musik ist Zärtlichkeit und zugleich Suche nach der Richtung.
Musik durchdringt Wände und Mauern.
Musik & Kunst skizzieren Pfade, auch wenn nicht immer dort ein Weg schon ist.
Im Geiste überwinden sie gewaltige Entfernungen.
Musik macht Hoffnung und gibt ein Gefühl des Miteinanders.
Sie schafft Vertrautheit als Anker im Dort & Damals,
so wie im jeweiligen Hier und Jetzt.
Musik greift durch mit ihrer „Menschlichkeit“ – sehr individuell, ob nun mittels Akkordeon, Blockflöte, Geige, Gitarre, Horn, Klarinette, Klavier, Mundharmonika, Saxophon oder Trompete, besagter Violine oder gar Cello.
Neben Kunst & Malerei ergreifen insbesondere eben Musik & Gesang unser Herz: voller Melancholie, Freude oder Schmerz. Unser Verstand ist bei Liedern besonders angeregt. Schließlich lösen Texte auch immer etwas aus - jeder Ton wird zugleich anders aufgefasst, anders verstanden – das ist wundervoll, weil voller Kraft!
„Sag mir wo die Blumen sind,
Wo sind sie sie geblieben…
Sag mir wo die Gräber sind...
Blumen wehn im Sommerwind
Wann wird man je verstehn...“
Noch heute zwingt mir dieses Lied immer wieder einen Kloß in den Hals. Ich werde sentimental, natürlich ohne überhaupt die Namen all der Mädchen und der Männer zu kennen. Allein die Unsäglichkeit der Gewaltherrschaft des NS-Regimes ist gewiss und macht mich betroffen: Krieg, Unterwerfung und Terror von „Mensch gegen Mensch“ stehen für die Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit jener Zeit!
Niemals darf uns Menschen das erneut einholen! Das sagen wir hier in Deutschland oft und klar, gut so!
Aber trotzdem kommt es allzu oft auch in Europa aufs Neue zu kriegerischen Auseinandersetzungen aus Gier, Missgunst, Neid und Intoleranz.
„Wann wird man je verstehn“