Interview mit Generalmajor Norbert Wagner. Die Fragen stellte Dagmar Doms-Berger für die Sächsische Zeitung / Döbelner Anzeiger)
Dagmar Doms-Berger: Der einzige Bundeswehr-Standort in Leipzig trägt den Namen General-Olbricht-Kaserne, die Sie als Kommandeur des Ausbildungskommandos leiten. Wie sieht das Gedenken an General Olbricht im Alltag der Kaserne aus?
Generalmajor Norbert Wagner: Am Kaserneneingang haben wir den deutlich sichtbaren Schriftzug "General Olbricht Kaserne" angebracht. Zusätzlich haben wir einen Gedenkstein, an dem wir jährlich am 20. Juli eine Gedenkfeier unter Beteiligung aller Dienststellen der Kaserne und mit Vertretern aus der Politik und des öffentlichen Lebens durchführen. Uns Soldatinnen und Soldaten ist der Name Friedrich Olbricht sehr geläufig, da uns die Bedeutung der Taten der militärischen Widerstandskämpfer bereits frühzeitig in der soldatischen Ausbildung vermittelt werden.
Quelle: Bundeswehr, Lisa Steppa
Welche Rolle spielte General Friedrich Olbricht in Vorbereitung des Attentats vom 20. Juli 1944?
General Freidrich Olbricht war einer der führenden Köpfte von vielen Beteiligten am militärischen Widerstand gegen das Unrechtsregime der Nationalsozialisten. 1940 wurde er General der Infanterie
und führte das Allgemeine Heeresamt im Oberkommando der Heeresleitung. Zwei Jahre später, bei einem Treffen mit Henning von Treschow und Carl Friedrich von Goerdeler, erklärte er seine Bereitschaft,
Vorbereitungen für einen Umsturz zu treffen. Er gewann außerdem Claus Schenk Graf von Stauffenberg und Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim für den gewaltsamen Umsturz, die "Operation Wallküre".
Das Attentat und die Vorbereitungen machen folgende Umstände so besonders: Alle Beteiligten waren hochdekorierte Soldaten, Offiziere, Berufssoldaten, die in der Reichswehr und vor allem der Wehrmacht
Karriere machten. Sie wussten um die Verbrechen der Wehrmacht und um die aussichtslose Situation im Krieg. Sie waren nicht einverstanden mit der Vernichtung ganzer Völker im Osten. Sie waren absolut
unzufrieden mit der Führungsstruktur der Wehrmacht unter Adolf Hitler und den verteilten chaotischen Verantwortlichkeiten darunter. Sie erkannten, dass Deutschland den Krieg personell und materiall
nicht durchhalten konnte. Eine nüchterne Lagebeurteilung hätte zur Entscheidung führen müssen, sich ruhig zu verhalten, den Niedergang abzuwarten und auf ein besseres Leben nach dem Krieg zu
hoffen.
Aber nicht die pure Logik, sondern ihr Gewissen war die Richtschnur ihres Handels. In einer völlig aussichtlos erscheinenden Situation haben diese Offiziere Mut und die Entschlossenheit zu handeln gezeigt, und sie haben in vollem Bewusstein ihr Gewissen über den Gehorsam gestellt.
Welche Lehren werden aus den damaligen Ereignissen und Vorgehensweisen gezogen?
Die Taten der Widerstandskämpfer sind eine von drei Säulen des Traditionsverständnisses der Bundeswehr. Der "Aufstand des Gewissens" ist heute noch das Vermächtnis der zivilen und militärischen Widerstandskämpfer. Das Gewissen muss für uns ein entscheidender Maßstab sein. Es steht vor dem Gehorsam, vor Bestimmungen und Vorschriften und manchmal sogar vor dem niedergeschriebenen Gesetz. Unseren Eid als Soldatinnen und Soldaten, als "Staatsbürger in Uniform", "das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen" verstehen wir in diesem Sinne.
Immer weniger Jugendliche wissen etwas mit dem Namen Freidrich Olbricht anzufangen. Wie lässt sich das aus Ihrer Sicht ändern und wie wird in der Kaserne an den 20. Juli 1944 erinnert?
Am 20. Juli führen wir in Leipzig in der Kaserne jährlich eine Gedenkveranstaltung durch. Dazu laden wir auch Vertreter aus der Politik und des öffentlichen Lebens ein. Insbesondere weil die Taten der militärischen Widerstandskämpfer auf gleicher Stufe neben denen der zivilen Widerstandskämpfer stehen. Wir setzen ein Zeichen der Einnerung und versuchen dadurch, das Andenken an General Friedrich Olbricht und seiner Kameraden des militärischen Widerstand wachzuhalten.
Gerade in unserer schnelllebigen Zeit kann man nicht oft genug an die Bedeutung des Widerstands gegen die Nationalsozialisten erinnern.